Megatrends – eine Zusammenfassung

Im Rahmen der Transformation Talks haben wir uns 2022 mit Megatrends beschäftigt. Expert:innen aus verschiedenen Fachbereichen haben ihr Wissen mit uns und dem Publikum geteilt. In diesem Artikel folgt nun eine Zusammenfassung der Megatrends basierend auf aktueller Forschung und Literatur.

Seit seiner Geburtsstunde ist der Begriff Megatrends eng mit dem Begriff Transformation verbunden. Das Buch Megatrends: Ten New Directions Transforming Our Lives des Politikwissenschaftlers John Naisbitt von 1982 verhalf der Futurologie, die fast 40 Jahre zuvor entstanden war, zu einem weltbekannten und verheißungsvollen neuen Werkzeug. Mit dem Konzept der Megatrends konnte Naisbitt seiner Zeit den (zumindest in den Industrienationen fortgeschrittenen) Wandel zur Informationsgesellschaft voraussehen und ein Phänomen wie die Globalisierung erläutern. Seiner Definition zufolge sind Megatrends „große soziale, wirtschaftliche, politische und technologische Umwälzungen”, die uns „für einige Zeit beeinflussen – zwischen sieben und zehn Jahre, oder länger.”

Trending

Mittlerweile gibt es eine Vielzahl an Trend Reports und Einrichtungen der Zukunftsforschung – Megatrends sind zu einem Buzzword in Medien, Politik und Wirtschaft geworden, eine Orientierungshilfe in einer immer komplexeren Welt. Obwohl sich Futurologen und Forschungsinstitute große Mühe geben, möglichst transparent, wissenschaftlich und fachkundig zu arbeiten, ist die Bewertung von Trends letzten Endes immer subjektiv und von der Warte abhängig, aus der sie betrachtet werden. Die Zukunft bleibt eine Entität, die in ihrer Gänze nicht bestimmt werden kann, wie man in Pillkahns Zukunftsmodell anhand der Felder ‚Neues‘, ‚Unsicherheiten‘ und ‚Chaos‘ sehen kann.

Was aber geht, ist, die Prognosekompetenz immer weiter zu festigen. Also möglichst gut begründete Annahmen zu entwickeln, die entsprechend genutzt werden können. Einen Trend und seine transformativen Kräfte nur zu erkennen und dokumentieren, reicht allerdings nicht. Entscheidend ist seine Relevanz für die Aufgabenstellung der betroffenen Akteure, meist in der Funktion zur Reduktion von Komplexität und zum Abfedern von Unsicherheit. Selbst wenn sie nicht eintreten müssen, ist es hilfreich, ein Set an Szenarien herleiten zu können, die uns strategische Überlegungen und kreatives Handeln erlauben. Dabei ist wiederum zu beachten, dass Trends auch Gegentrends erzeugen können, wie Tristan Horx vom Wiener Zukunftsinstitut bei unserem ersten Transformation Talk im Februar erläuterte. Diese Dynamik wird durch Pillkahns „Zukunftsmodell als Spektrum der Veränderung und des Wissens” gestützt, denn dort schneiden sich Trends mit Widersprüchen in den Feldern ‚Fundierte Meinung‘ (Achse Wissensspektrum) und ‚Gerichtete Veränderung‘ (Achse Spektrum der Veränderung). Ein Megatrend kann einen Gegentrend erzeugen, eine Schleife drehen, in eine Synthese gehen und danach weiter stabil in die Zukunft laufen, ähnlich einem Wasserwirbel, der einen Fluss hinabtreibt.

Was Megatrends von anderen Trends unterscheidet, ist laut dem Zukunftsinstitut ihre Fähigkeit, ganze Gesellschaften umzuformen. Dafür werden vier Kriterien als entscheidend angesehen:

Anhand dieser Parameter verfolgt das Zukunftsinstitut schon seit vielen Jahren die großen, epochalen Trends und verknüpft sie in Form einer Art U-Bahn Karte, der Megatrend-Map. Auf ihr sieht man, welche Subtrends jeder Megatrend aufweist, wie sie vernetzt sind, wo sie sich verstärken oder überschneiden. Und man sieht auch auf einen Blick die leiseren Megatrends, die nicht jede Woche in den Medien sind. Geschehnisse wie die Pandemie und der Krieg in der Ukraine hingegen dürften Turbo-Beschleuniger für Megatrends wie Gesundheit, Globalisierung und Sicherheit sein. Darüber hinaus erlaubt die Megatrend-Map auch wie ein großer Radar blinde Flecken zu identifizieren und festzustellen, welche Treiber des Wandels sich ein Unternehmen im Kontext seiner Geschäftsfelder genauer anschauen sollte.

Im unserem Projektumfeld beschäftigen wir uns als WARGITSCH Transformation Engineers regelmäßig und eingehend (aber nicht ausschließlich) mit drei Megatrends, auf die wir im Folgenden näher eingehen möchten: New Work im Sinne des strukturellen Wandels der Arbeitswelt und -organisation, Konnektivität, also der Vernetzung durch überwiegend digitale Infrastrukturen, und Sicherheit als Variable im Zusammenspiel mit Risiko und Risikobewertung.

New Work

Seit Anfang der 1990er Jahre haben Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) im Zuge der Globalisierung eine entscheidende Rolle bei der Diversifizierung und Evolution der Arbeitsplätze gespielt und die Entstehung einer schnellen, sich dauernd verändernden Arbeitswelt vorangetrieben. Dies hatte enormen Einfluss auf räumliche, zeitliche und körperliche beziehungsweise materielle Dimensionen in den Organisationlandschaften.

Insbesondere in den folgenden vier Feldern manifestieren sich laut dem Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation Ansätze von New Work:

Die dafür nötige Unternehmenskultur kann nach wie vor am besten analog in gemeinsamen Arbeitsräumlichkeiten als Kultur-Begegnungsstätten er- und gelebt werden. Dort kann der Mensch verstärkt soziale, kreative und kollaborative Arbeitsaspekte umsetzen, die er an anderer Stelle durch die Automatisierung monotoner Arbeit durch Maschinen, den Einsatz von künstlicher Intelligenz und Remote Work verliert. Aufgabengebiete, die durch den Einsatz von Intuition, Empathie und Kreativität geprägt sind, gewinnen für den Menschen an Bedeutung. Die erhöhten Gestaltungsmöglichkeiten der New-Work-Ära spiegeln sich außerdem im Work-Life-Blending wider, bei dem die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben immer weiter verschwimmen. Hinzu kommt eine Verkürzung der Arbeitszeit, in manchen Unternehmen sind 30-Stunden-Wochen schon der Standard. Das angestrebte Rezept: mehr Sinnstiftung und Gestaltungsmöglichkeiten ergeben mehr Identifikation und Zufriedenheit, weniger Krankheitstage und damit mehr Produktivität.

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Die neuen Möglichkeiten können allerdings ohne die entsprechende Verantwortungskultur Bedenken bezüglich Überwachung, Kontrolle und Machtdynamiken hervorbringen, vor allem im Zuge horizontaler Kontrollformen. Unternehmen müssen also mehr denn je die richtige Kultur und entsprechend digitale Kompetenz aufbieten. Es gilt, im Angesicht hoher Komplexität und Unsicherheitsfaktoren insgesamt agiler und resilienter werden. Eine Antwort darauf ist Vielfalt, zum einen als Abkehr von der ständigen Leistungssteigerung, zum anderen als Existenzform wie sie in Business Ecosystems vorkommt.

Konnektivität

Die Auseinandersetzung mit Konnektivität ist mit dem Thema der globalen räumlichen Nähe verbunden, muss jedoch darüber hinausgehen. Vor allem da die digitale Vernetzung alte gesellschaftliche Strukturen auflöst, die Kommunikationsmöglichkeiten rapide wachsen lässt und damit ein neues Niveau an Komplexität in einer (phänomenologisch) schrumpfenden Welt erzeugt. Im Zuge dieses Wandels entstehen neue soziale, kulturelle und ökonomische Muster. Um ein besseres Verständnis einer ständigen Vernetzung der Gesellschaft, von Gütern, Informationen u.v.m. zu erlangen, kann man Konzepte von Netzwerken und Flüssen heranziehen.

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Netzwerke sind im Zuge dessen als mehrere, untereinander verbundene Knotenpunkte zu verstehen, deren Art wiederum vom konkreten Netzwerk abhängig ist. Es kann sich um Aktienmärkte und die sie unterstützenden Dienstleistungsrechenzentren im Netz der globalen Finanzströme oder um Fernsehsysteme, Computergrafik-Milieus, Unterhaltungsstudios, Nachrichtenteams und mobile Geräte im globalen Netzwerk der Nachrichtenmedien handeln. Netzwerke können grenzenlos expandieren, solange seine Knoten miteinander kommunizieren können und dieselben Werte und Ziele verfolgen. Sie sind geeignete Instrumente für eine Wirtschaft, die auf Innovation, Globalisierung, dezentrale Konzentration abzielen, und für eine gesellschaftliche Organisation, die auf die Veränderung des Raums und die Vernichtung der Zeit aus ist. Die Distanz der Knoten im operativen – im Gegensatz zum physischen – Sinne kann effektiv gegen „null” gehen, was am Beispiel des Internets als verzögerungsfreie, technisch vermittelte Kommunikation zu sehen ist.

Konnektivität wird zweifellos durch technologische und digitale Aspekte beschleunigt, umso wichtiger ist es, auch die sozialen und kulturellen Faktoren, u.a. Führungskultur in der real-digitalen Unternehmenskultur, zu berücksichtigen, um ein umfassendes, systemisches Verständnis der Wandlungspotentiale im Sinne einer sozio-technischen Vision zu erlangen. Je mehr die Transformation durch Konnektivität voranschreitet und sich organisiert, desto mehr wachsen Reales und Digitales zusammen und umso mehr geht es Richtung Human Turn, also um die sinnvolle Allokation von digitaler Technik im Kontext menschlicher Bedürfnisse und Möglichkeiten.

Sicherheit

Im 21. Jahrhundert reicht es nicht mehr, den Sicherheitsbegriff im öffentlichen Raum zu betrachten oder ihn im Rahmen traditioneller militärischer Operationsfelder zu sehen – selbst wenn der Angriff Russlands auf die Ukraine diesen wieder mehr Bedeutung und Aufmerksamkeit verschafft. 1999 noch definierte das NATO-Strategie-Konzept neben herkömmlichen bewaffneten Auseinandersetzungen Terrorismus, Sabotage, Organisierter Kriminalität sowie der Störung der Versorgung mit vitalen Ressourcen und großer, unkontrollierter Migrationsbewegungen als sicherheits- und bündnisrelevant. Mittlerweile sind kleinteiligere und hochmobile Sicherheitsmaßnahmen gefragt. Es sind Aspekte wie politischer Extremismus, Proliferation, Wasserknappheit, Überbevölkerung und Armut, Umwelt-/Klimaveränderungen, Seuchen, Schutz empfindlicher Infrastrukturen einschließlich IT sowie der Schutz von Menschenrechten und Minderheiten hinzugekommen. Daraus ergibt sich eine integrierte Sicht, die militärische, polizeiliche, soziale, ökologische u.a. Formen von Sicherheit umfasst. Diese Sicht muss auch der Entwicklung von ökonomischen hin zu ökologischen Risiken (extremes Wetter, Naturkatastrophen, Verlust von Biodiversität, menschengemachte Umweltkatastrophen) gerecht werden.

Mit zunehmender Vernetzung und in Zeiten globaler Umbrüche lohnt es sich, Bedrohungen der Sicherheit nach Ursprung, Level (Bandbreite und Intensität) und Konsequenz zu schematisieren und auch die unterschiedlichen Wahrnehmungen davon ins Kalkül zu ziehen. Letztere wird maßgeblich von einer Medienberichterstattung geprägt (v.a. in der Boulevard-Presse und den sozialen Medien), die verstärkt punktuelle, negative Einzelfälle statt langsamer, positiver Entwicklungen behandelt. Die Menschen brauchen daher mehr denn je die Kompetenz, mit den eingesetzten Technologien und der möglichen Informationsverbreitung richtig umzugehen, Risiken richtig zu bewerten und zu managen.

Transparenz und das Vertrauen in Technologien, wie es die Blockchain zum Beispiel liefern kann, werden zu Kaufargumenten und sind notwendig, um den Sicherheitsbegriff zu erweitern. Sicherheit ist kein Zustand mehr, sondern ein dynamischer, kontinuierlicher Prozess, der mit großer Resilienz und Flexibilität aktiv erarbeitet werden muss. Für Organisationen bedeutet dies auch, dass sie im Zeitverlauf mit wechselnden Phasen von Sicherheit und Unsicherheit, alterniert durch Disruptionen, konfrontiert und zurechtkommen muss. Dementsprechend müssen die Organisationsmitglieder darauf vorbereitet werden und ihnen bewusst gemacht werden, dass unsichere Phasen (Unterbrechungen) notwendig sind, um die nächste Stufe der Entwicklung und neue Sicherheit zu erreichen. Aktives und fokussiertes Transformation Engineering kann dabei unterstützen, disruptive Phasen erfolgreich zu managen.

Anwendung

Megatrends können innerhalb kurzer Zeit Überblick verschaffen und komplexe Zusammenhänge aufzeigen. Sie können zur Standortbestimmung in Organisationen dienen und für strategische Überlegungen herangezogen werden. Dabei können durch die subjektive Interpretation und Evaluation von Megatrends im Zusammenspiel mit der jeweiligen Umwelt und Wettbewerbssituation mit hoher Bestimmtheit wertvolle Implikationen oder Handlungsoptionen abgeleitet werden.

Bias-Dekonstruktion

Die Trendforschung ist pluralistischen Natur und eigentlich in allen Kulturen zu verankern, um auch weniger privilegierten Gruppen Einfluss und Interpretationskapazitäten erlauben. Zu verhindern ist ein Abdriften in Marketingschemata, eine Mystifizierung der Zukunft oder ein plötzlicher Konfrontationsschock, wenn schlecht informierte Gruppen von heute auf morgen mit Forschungsergebnissen konfrontiert werden.

Kontext

Trends sind wohl eines der populärsten Zukunftsinstrumente, was nicht heißt, dass wir andere Werkzeuge wie die Spieltheorie, Systemtheorie, Wahrscheinlichkeitstheorie, Kognitionstheorie oder Kultursoziologie vergessen, unterordnen oder unterschätzen sollten.

Quellen und weiterführende Literatur:
Engel (2020): „Megatrend Konnektivität. Eine Herausforderung.”, in: Journal für LehrerInnenbildung
Hepp, Kortz, Moores & Winter (2006): Konnektivität, Netzwerk und Fluss – Konzepte gegenwärtiger Medien-, Kommunikations- und Kulturtheorie
Hofmann, Piele, Piele (2019): „New Work. Best Practices und Zukunftsmodelle”, in: Fraunhofer IAO
Mitev, Aroles, Stephenson, Malaurant (2021): New Ways of Working: Organizations and Organizing in the Digital Age
Naisbitt (1982): Megatrends: Ten New Directions Transforming Our Lives
Ooyen, (2020): Öffentliche Sicherheit und Freiheit
Pillkahn (2007): Trends und Szenarien als Werkzeuge der Strategieentwicklung
Statista, www.statista.de
Stevens, Vaughan-Williams (2014): „Citizens and Security Threats: Issues, Perceptions and Consequences Beyond the National Frame”, in: Cambridge University Press
Zukunftsinstitut, www.zukunftsinstitut.de