Lasst uns über Digitale Ethik sprechen!

Wir sind umgeben von digitalen Anwendungen – im privaten, beruflichen und sozialen Kontext. Aber haben wir auch einen Überblick, welche Konsequenzen aus diesen Entwicklungen resultieren und wie wir als Gesellschaft die Digitalisierung zu unserem Vorteil nutzen können?

Dieses Thema werden wir ab Ende dieses Jahres in einem Blog über Digitale Ethik im Rahmen unseres Think Tanks beleuchten. Wir haben unserem Senior Transformation Consultant, Blogautor und Absolvent des “Digital Leadership & Ethics Program”, Carsten Gundlach, sechs Fragen zu diesem spannenden Thema gestellt.

Künstliche Intelligenz – Fluch oder Segen?

Es kommt darauf an! Die KI kann ein absoluter Segen sein, wenn sie das Gute “im Sinn” hat. Betrachten wir einmal die Medizin: hier kann KI durch die Bildanalyse beispielsweise Krebs viel besser erkennen, als es der Mensch kann. Oder wir betrachten den Zustand der Wälder: Über Satellitenaufnahmen ist es mithilfe von KI viel besser möglich, eine Übersicht zu bekommen, wie es dem Wald wirklich geht. Zum Fluch kann KI aber beispielsweise beim Thema Social Media werden: Was bekomme ich in die Streams gepostet? Was sehe ich? In welche Bubble werde ich gepackt und eventuell auch manipuliert? Was bekomme ich überhaupt mit oder werden – ohne meines Wissens – Inhalte vom Anbieter zensiert? KI sowie autonome Roboter können aber auch in ganz anderen Situationen eingesetzt werden. Betrachten wir einmal ein paar der Konflikte auf der Welt: Drohnen, Kampfroboter auf dem Boden – wenn man sich dystopische Bilder ausmalt, kann einen das tatsächlich zum Nachdenken bewegen. Passend zum Aspekt der Risiken: In Cambridge gibt es seit ein paar Jahren das Centre for the Study of Existential Risks (CSER). Dort wird untersucht, ganz salopp gesagt, Gefahren, die die Menschheit in ihrer Existenz bedrohen. Hier vermutet man anfangs vielleicht eher Gefahren durch Meteoriten oder Viren. Aber die Forscher:innen sehen aufgrund der rasenden Fortschritte auch in der KI ein Risiko. Wenn das von renommierten Wissenschaftler:innen als Gefahr gesehen wird, dann glaube ich, dass wir das Thema und die möglichen Folgen sehr ernst nehmen und uns hiermit intensiver beschäftigen sollten. Also zusammengefasst: Fluch oder Segen kommt auf den Verwendungszusammenhang und die jeweiligen möglichen Folgen an!

Super spannend! KI ist aber nur ein Teil des Blogs zur Digitalen Ethik. Zu diesem Thema gehört noch viel mehr dazu, es ist ein sehr breit gefächertes Feld, deshalb die Frage: Warum sollten wir uns alle mit Digitaler Ethik beschäftigen?

Genau aus denselben Gründen, warum KI uns Sorgen bereiten kann: Die Folgenabschätzung bezüglich der Digitalisierung und ihre Auswirkungen auf Gesellschaft, Wirtschaft usw. Hier kann Digitale Ethik helfen, problematische Auswirkungen frühzeitig zu erkennen und entsprechende Handlungsweisen oder -optionen zu entwickeln. Wir können sogar einen Schritt weitergehen, zum Thema werteorientierte Gesellschaft, wie hier sie in Westeuropa existiert. Solche Ansätze können gleich beim Design von digitalen Geschäftsmodellen und Innovationen mit einfließen. 

Es ist davon auszugehen, dass sich „fortschrittlichere“ Länder gleich zu Beginn einen Vorteil im Vergleich zu Wettbewerber:innen in anderen Kulturräumen erarbeiten können, indem sie Fragen der Digitalen Ethik von Beginn an einfließen lassen. Wie gehen wir damit um? Wie schützen wir unsere Privatsphäre? Wie schaffen wir Transparenz? Wie klären wir User:innen auf? Sich über solche Themen Gedanken machen. Ansätze dazu gibt es schon, manche Unternehmen arbeiten zum Beispiel mit Ethikboards oder setzen Ethics by Design ein. Damit relevante Fragen im Innovationprozess gleich von Anfang an mitgedacht werden. Digitale Ethik kann außerdem helfen, mögliche Lösungen für Dilemma-Situationen zu finden und Handlungsoptionen zu entwickeln, durch die Betrachtung aus verschiedenen Perspektiven.

Wie hast Du Fuß in diesem Themenbereich gefasst, beziehungsweise wieso beschäftigst du dich überhaupt mit Digitaler Ethik?

Ich würde nicht sagen per Zufall, aber vielleicht doch ein bisschen. Ich hätte den Begriff der Digitalen Ethik für mich nie so formuliert bzw. definiert. Gedanken mache ich mir schon länger über die Geschehnisse und Entwicklungen von – beispielsweise – Social Media in unserem Alltag. Es ist ein wenig schockierend, wie abhängig wir mittlerweile von der Digitalisierung sind. Zum konkreten Thema der Digitalen Ethik habe ich im Rahmen meiner Weiterbildung gefunden. Auch in Bezug auf Nachhaltigkeit im Zuge der digitalen Transformation. Da gab es ein Studienprogramm: „Digital Leadership & Ethics Program“. Hier bildeten Nachhaltigkeit und Digitale Ethik einen Schwerpunkt und mir wurde bewusst: „Okay, da gibt es bereits einen formulierten und wachsenden Diskurs, der sich mit diesen Fragestellungen befasst!“ Das fand ich super spannend, denn es lohnt sich, darüber nachzudenken – mehr als es der Gesellschaft bewusst ist. Die Auswirkungen können immens sein: Setze ich mein Kind mit zwei Jahren schon ans iPad, um es zu beschäftigen, oder eben nicht? Ist das ethisch vertretbar? Den Rahmen kann man weit spannen. Auch im Unternehmenskontext: Ist es ethisch vertretbar, die User:innen im Unklaren bezüglich ihrer Privatsphäre und ihrer „angezapften“ Daten zu lassen? Oder sorge ich für Transparenz? Während meiner Weiterbildung hat mich diese ganze Thematik zunehmend gefesselt!

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Und im Blog möchtest du die Leserschaft auch fesseln! Wohin führt die Reise Dich und die Leser:innen in den Beiträgen zur Digitalen Ethik?

Erst einmal möchte ich informieren, dem Thema zu mehr Präsenz verhelfen und ein Bewusstsein dafür schaffen. Oft ist den Menschen dieses Thema gar nicht wirklich bewusst, aber je tiefer man einsteigt und je mehr man darüber redet, desto mehr positive Resonanz kommt zurück. Und darum geht es mir: Einen gemeinsamen Wissensstand schaffen, die Herausforderungen und Fragestellungen herausarbeiten und die Chancen aufzeigen, wie wir proaktiv etwas gestalten können. Was mich wieder zum Thema Werteorientierung zurückbringt und dazu, dass das ein großer Wettbewerbsvorteil sein kann für die westlich und auf Wettbewerb orientierten Gesellschaften. Insgesamt soll der Blog und die damit verbundene Reise aufzeigen: Was bedeutet Digitale Ethik im Allgemeinen? Dabei werden wir in einzelne Aspekte und Punkte gerade so tief eintauchen, damit wir die Vielfältigkeit der Thematik aufzeigen können, ohne in ihren Tiefen verloren zu gehen. Hier kann die Abgrenzung zur klassischen Ethik und auch der klassischen Philosophie sehr fordernd sein. Es soll vor allem um die praktischen Aspekte gehen.

Das Thema Werte hast du jetzt schon mehrfach erwähnt: Inwiefern beeinflussen gesellschaftliche Ideale und Überzeugungen die Entwicklung digitaler Technologien?

Sehr stark! Jeder Algorithmus wird von einem Menschen geschrieben und programmiert. Diese Menschen sind von ihrer jeweiligen Kultur und ihren Werten geprägt, das fließt unbewusst in die Programmierung mit ein. Ich glaube das kennen alle, die schon einmal einen Text geschrieben haben: Man versucht, eine gewisse Objektivität anzustreben, aber subjektiv fließen doch eigene Vorstellungen mit ein. Allein durch die Gedankenführung, den Wortschatz, die Erfahrungen, die man persönlich gemacht hat. Das kann zum Problem werden: Algorithmen werden oft durch junge und meist weiße Männer entwickelt. Die Folge war tatsächlich, dass KI schon häufiger rassistische Tendenzen nachgewiesen wurden. Werte und ihre Artikulation spielen hier also eine große Rolle. Je nach Kulturkreis können sich Werte unterschiedlich auf die Algorithmen auswirken.

Die Auseinandersetzung mit Ethik beinhaltet auch die Frage des – menschlichen – Glücks. Kann die Digitalisierung uns glücklich machen?

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Das ist eine schwierige Frage und eine ebenso spannende. Dazu habe ich erst vor Kurzen etwas gelesen und eine zwiegespaltene Meinung. Digitalisierung kann, glaube ich, in der Tat zum Glück beitragen und zwar im Sinne von: „Wie kann die Digitalisierung das Individuum und die Gesellschaft positiv unterstützen?“ Beispielsweise können wir viel einfacher in Kontakt mit Freund:innen und allgemein anderen Menschen quer über den Planeten treten und uns austauschen. Auch im Arbeitsalltag erleben wir völlig neue und tolle Arten der Zusammenarbeit. Digitalisierung kann aber auch zum Gegenteil beitragen, sei es auf Instagram und durch unrealistische Schönheitsideale, die dann in das wahre Leben projiziert werden. Oder durch Hate-Postings. Diese Dynamiken gab es früher natürlich schon auf anderen Medien und Plattformen, nur verschiebt sich die Problematik immer mehr ins Digitale. Die erhöhte Konnektivität beschleunigt dabei viele Vorgänge und lässt sie leichter eskalieren. Aber das ist nur ein weiteres, kleines Beispiel aus der Medienwelt und Kommunikationstechnologie, wie Digitalisierung zum “Unglück” beitragen kann. An dieser Stelle wird es für mich philosophisch, ähnlich wie zuvor, als es um KI ging. Wie nutze ich die Digitalisierung? Bin ich durch die damit verbundenen Angebote glücklicher – oder unglücklicher? Insgesamt überwiegen die Vorteile sowohl im Privaten als auch im Beruflichen, sodass ich die Digitalisierung und die Möglichkeiten hieraus sehr positiv sehe.