Wie Digitale Ethik zu einem bewussten Umgang mit den Risiken beiträgt
Die Digitalisierung hat in den vergangenen Jahren unsere Arbeitswelt, aber auch unsere Gesellschaft im privaten Bereich enorm verändert. Dabei sind die Vorteile der Digitalisierung offensichtlich, eine Verbesserung von Effizienz, Produktivität, Kommunikation sowie die allgemeine Erhöhung des Wohlstands lassen sich leicht argumentieren. Andererseits darf man für eine umfassende, realistische Einschätzung auch die Risiken und Gefahren nicht außer Acht lassen. Ziel dieses Beitrages wird es sein, sowohl die Chancen als auch die Risiken der Digitalisierung aufzeigen und darzulegen und zu klären, inwiefern die Digitale Ethik helfen kann, Gefahren frühzeitig zu erkennen und zu adressieren.
Chancen & Potenziale: Neun Schlüsseltechnologien der Digitalisierung
Ganz allgemein lässt sich feststellen, dass es nicht nur eine Form der Digitalisierung gibt. Vielmehr wird unter “Digitalisierung”, “Digitaler Transformation” oder auch “Industrie 4.0” ein breiter Themenkomplex verstanden. In diesem Zusammenhang lassen sich aktuell neun Schlüsseltechnologien ausmachen:
- Big Data
- Künstliche Intelligenz
- Augmented & Virtual Reality
- Blockchain
- Robotik und 3D-Druck
- Cloudcomputing
- Monitoring
- Cyber Security
- Internet of Things
Foto: PERI-3D-Betondruck
Durch solche, neue Technologien und deren Anwendung entstehen nicht nur enorme Veränderungen in der Wertschöpfungskette, zum Beispiel eine effizientere Ressourcennutzung durch Big Data in der Landwirtschaft, indem man GPS-Daten, Wetter-Daten sowie Boden-Informationen in die Düngerausbringung einberechnet und somit optimieren kann. Es werden sogar ganze Geschäftsprozesse und Produktlandschaften einen Evolutionssprung erleben. 2021 ist bereits das erste komplett durchgenehmigte Wohnhaus aus dem 3-D-Drucker in Deutschland entstanden.
Augmented Reality wird beispielsweise jetzt schon in frühen Phasen der Produktentwicklung eingesetzt, um verschiedene Ideen und Ansätze zu evaluieren. Die dafür nötigen Analysen können in Echtzeit und anstatt eines physischen Prototyps anhand eines digitalen Objektes laufen – dies spart Kosten und macht die Produktenwicklung effektiver. Eine Studie von Juniper Research prognostiziert eine signifikante Wachstumsrate hinsichtlich der 5G-IOT-Verbindungen: diese sollen laut Bericht global von 17 Mio. (2023) auf 116 Mio. (2026) anwachsen. Die Treiber dahinter sollen den Vorhersagen nach das Gesundheitswesen (Schwerpunkt Service-Modernisierung, z.B. Telemedizin, vernetzte Ambulanzen und Notfalldienste sowie Echtzeit-Fernüberwachung) und Smart-City-Dienste (Beobachtung von Transportations-Netzwerken inklusive Straßen- und Schienennetze) sein. Unternehmen, die diese rasanten technologischen Entwicklungen versäumen, werden schnell ins Hintertreffen geraten.
Digitalisierung ist nicht gleich Digitalisierung
Die Digitalisierung bietet für Unternehmen vielfältige Chancen, jedoch sieht die Realität mitunter ganz anders aus, denn jede:r nimmt den Grad der Digitalisierung anders wahr. Für einige Unternehmen ist die digitale Transformation schon vollzogen, wenn ein analoger Prozess digitalisiert wurde. Für andere ist die Transformation ein regelmäßiges Managen der Veränderungen und ein ganzheitlicher Ansatz, zu dem Unternehmensprozesse genauso gehören wie die Unternehmenskultur und der einzelne Mitarbeiter.
Ein kritischer Erfolgsfaktor für die Digitale Transformation ist die Ambidextrie. Dies beschreibt die Fähigkeit eines Unternehmens, auf verschiedene Dynamiken seiner Umwelt gleichermaßen reagieren zu können. Um die Chance der Digitalisierung zu ergreifen und somit die digitale Transformation erfolgreich zu gestalten, sind sowohl die Optimierung des Kerngeschäftes als auch die Entwicklung von Innovationen wesentliche Voraussetzungen.
Risiken in der freien Wirtschaft
Neben der Vielzahl an Chancen spielen auch die Risiken, die mit der Digitalisierung verbunden sind, eine immer bedeutendere Rolle. Eines der größten Risiken ist die zunehmende Abhängigkeit von Technologien. Diese kann dazu führen, dass Unternehmen anfälliger für Cyber-Angriffe und Datenlecks werden. Die Zahl der “Distributed-Denial-of-Service-Angriffe“ (DDoS-Angriffe) hat zum Beispiel nach Berichten verschiedener Mitigationsdienstleister von 2020 auf 2021 um 41% zugenommen (Quelle: Link11). Im März 2023 erst gab es einen DDoS-Angriff auf die IT-Systeme des Rüstungskonzerns und Automobilzulieferers Rheinmetall AG, den das Unternehmen jedoch abwehren konnte.
Generell gilt es, die riesigen, durch die Digitalisierung erzeugten Datenmengen zu schützen, denn bei Fehlern oder Missbrauch kann dies zu großen Datenschutzproblemen führen, die im wirtschaftlichen Kontext auch schnell hohe Strafzahlungen und Reputationsschäden nach sich ziehen. Paradebeispiel hierfür ist die unrechtmäßige Daten-Nutzung von Millionen von Facebook-Nutzern durch das Datenanalyse-Unternehmen Cambridge Analytica zu politischen Zwecken im Jahr 2016. Cambridge Analytica meldete im Jahr 2018 Konkurs an, während Facebook 2019 mit einer 5-Millarden-Dollar-Strafe von den US-Bundesbehörden wegen Nutzertäuschung belegt wurde und der Facebook-Mutterkonzern Meta 2022 eine Sammelklage der Nutzer durch eine Zahlung von 725 Mio. Dollar beilegte (Quelle: zeit.de). Zu den bekannten Risiken gesellen sich allerdings weitere, noch unbekannte Risiken. Genau an diesem Punkt kann die Digitale Ethik eine essenzielle Rolle für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen spielen und Risiken gleich vorwegnehmen bzw. reduzieren.
Unternehmen mit einer stark ausgeprägten Digitalen Ethik handeln im Normalfall aber nicht nur verantwortungsvoller, sondern werden auch als glaubwürdiger wahrgenommen. Dies stärkt wiederum ihre Reputation und ihr Ansehen. Kunden wissen, dass ihre Daten und Informationen bei ihnen gut aufgehoben sind. Zudem kann die Digitale Ethik eine positive Arbeitskultur fördern, in der sich Mitarbeiter:innen gut behandelt und geschätzt fühlen. Ethische Innovationen können zudem neue Erprobungsräume schaffen (Stichwort: “New Work”). Stets zu beachten sind die gesetzlichen Anforderungen. In vielen Ländern gibt es Gesetze, die den Schutz von Daten und Informationssicherheit regeln. Eine starke Digitale Ethik als Teil der Rechts- bzw. Compliance-Abteilung hilft Unternehmen dabei, Risiken durch aufgestellte Prinzipien und Regeln zu vermeiden, um Prozesskosten zu umgehen oder zu minimieren.
Risiken in der Privatgesellschaft
Für den Bereich der privaten Gesellschaft zeigen sich die Vorteile der Digitalisierung unter anderem in der Verbesserung der Anbindung, Kommunikation und Zusammenarbeit, kurz der Konnektivität.
“Human augmentation and digital-physical fusion are the two most significant driving forces behind future developments of the network. Five years of research by Nokia Bell Labs on these technologies hav set the stage for a revolutionary new era in communications and metaverse enablement.”
Soziale Medien und Online-Kommunikations-Tools ermöglichen es Menschen auf der ganzen Welt, miteinander zu kommunizieren und zu interagieren, unabhängig von ihrer geografischen Lage. Auf der einen Seite profitieren insbesondere im Bildungsbereich weltweit Millionen von Menschen von teils kostenlosen Onlinekursen – sogenannten MOOCS (Massive Open Online Courses). Einer der weltweit größten Anbieter, Coursera, ist allein in einem Quartal um 5 Prozent auf 82 Mio. User gewachsen (Stand Q1 2021, Quelle: thinkimpact.com). Auf der anderen Seite werden Menschen, denen der Zugang zu solchen Technologien fehlt (Stichwort: “Digital Divide”), stark benachteiligt und von neuen Formen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens ausgeschlossen.
Neue Arbeitsmodelle – beispielsweise in Form von mobiler Arbeit – haben sich auch in traditionelleren Branchen wie beispielsweise Textil, Druck und im Bankwesen etabliert, was eine Verbesserung der Lebensqualität für die Angestellten bedeutet. Laut einer Umfrage des Statista Research Departments wünschen sich 65 Prozent aller Befragten (Stand 2022), dass ein hybrides Modell aus Präsenz- und Heimarbeit fester Bestandteil ihrer Tätigkeit bleibt.
Ein weiteres, erhebliches Risiko für die Gesellschaft stellen die Sozialen Medien dar, die oft an große monopolistische Medienunternehmen gekoppelt sind. Sie haben beispielsweise dazu beigetragen, dass falsche Informationen schneller verbreitet werden und dass die Menschen durch Algorithmen und Filterblasen in ihrer Meinungsbildung eingeschränkt werden. Gezielte und nicht nur kommerzielle, sondern auch kriminelle Einflussnahme auf gewünschtes (User-)Verhalten gehören heute zu den täglichen Begleiterscheinungen der Sozialen Medien.
Umbruch des Arbeitsmarktes
Auch der Arbeitsmarkt wird von den Folgen der Digitalisierung stark betroffen werden. Die Automatisierung von Prozessen kann dazu führen, dass viele Arbeitsplätze obsolet werden und Arbeitnehmer:innen ohne (digitale) Kompetenzen nicht mehr für die Arbeitswelt der Zukunft benötigt werden. Laut einer Prognose aus dem Jahr 2018 werden 47 Prozent aller Jobs in den nächsten 20 Jahren verschwinden (Quelle: Oxford University). Vor allem die folgende Wirtschaftsbereiche Banken-, Immobilien- und Versicherungsbranche werden hiervon wohl betroffen sein (Quelle: Der Spiegel, 2021). Im Jahr 2021 betrug der Anteil der Onlinebanking-Nutzer in Deutschland 50 Prozent, wohingegen in Norwegen schon mehr als 95 Prozent aller Bankgeschäfte online abgewickelt wurden (Quelle: Statista 2023).
Digitale Ethik im Spannungsfeld zwischen Chancen und Risiken
Digitale Ethik bezieht sich auf die ethischen Prinzipien und Werte, die im Zusammenhang mit der Verwendung von Technologie und digitalen Medien gelten. Sie soll sicherstellen, dass Technologie verantwortungsbewusst und zum Wohl der Gesellschaft eingesetzt wird. Es geht also um die Bewertung von Entscheidungen, die bei der Verwendung von digitalen Technologien getroffen werden müssen und somit um eine Folgenabschätzung von digitaler Technologie. Hierzu abschließend zwei Übersichten:
Übersicht der Chancen und Risiken der Digitalisierung
Chancen | Risiken |
---|---|
Effizienzsteigerung und Kosteneinsparungen in Unternehmen | Verlust von Arbeitsplätzen durch voranschreitende Automatisierung |
Erleichterung und Verbesserung von Geschäftsprozessen | Datenschutzprobleme und Cyberkriminalität |
Verbesserte Kommunikation und Zusammenarbeit | Abhängigkeit von Technologie und mögliche Ausfälle |
Verstärkter Zugang zu mehr Informationen und Wissen | Benachteiligung von Menschen ohne Zugang zu Technologie |
Erhöhung der Arbeitsproduktivität | Überwachung und Einschränkung der Privatsphäre |
So kann Digitale Ethik dabei helfen, die Risiken der Digitalisierung zu minimieren
- Verantwortungsbewusstes Handeln von Unternehmen, Staat und Entwickler:innen (z. B. Corporate Digital Responsibilty, Ethics by Design)
- Regulierung von Technologie im Hinblick auf Datenschutz und Informationssicherheit (z. B. DSGVO, Rechtsrahmen für Künstliche Intelligenz der EU, Stellungnahme des Deutschen Ethikrates zur Künstlichen Intelligenz)
- Sensibilisierung und Bildung der Öffentlichkeit zu digitalen Themen (z. B. Europäische Rahmenplan für digitale Kompetenz, Digital Literacy, Verantwortlichkeiten für Mensch-Maschine-Ökosysteme)
- Förderung inklusiverer Technologien und Zugangsmöglichkeiten (z.B. Digital Divide)
- Stärkung von Menschenrechten im digitalen Raum
- Etablierung einer internationalen gemeinsamen Agenda für Digitale Ethik
Zusammenfassend kann die Digitale Ethik eine wichtige Rolle bei der Nutzung der Potenziale und der Minimierung der Risiken der Digitalisierung spielen, indem sie
- aus verschiedenen Perspektiven die Digitalisierung betrachtet und mögliche Folgen rechtzeitig erkennt und adressiert sowie
- Richtlinien, Prinzipien und Standards für verantwortungsbewusstes Handeln in der digitalen Welt etabliert.
Unternehmen können somit schon frühzeitig Digitale Ethik in die Produktentwicklung und Strategiefindung einfließen lassen und mit Technologien so umgehen, dass die Freiheit, Autonomie, Zusammenarbeit und Gleichstellung aller Menschen bestmöglich gewahrt bleibt – auch im Digitalen.
Ausblick
In den nächsten Blog-Beiträgen beleuchten wir weitere Anwendungsbereiche und tauchen dabei in folgende Themenfelder der Digitalen Ethik ein:
- Künstliche Intelligenz und wo sie zum Einsatz kommt
- Ansätze und Praxisbeispiele der Digitalen Ethik
Wie können wir helfen?
Sie möchten mehr über digitale Verantwortung und die Gestaltungsmöglichkeiten für digitale Transformationen erfahren? Wir unterstützten Sie auf dem Weg mit Impulsvorträgen, der Beratung zur technologischen Entscheidungsfindung und Ausrichtung sowie Workshops zur Implementierung in ihre bestehenden Prozesse und Strukturen.
Autor
Carsten Gundlach
Senior Transformation Consultant & Absolvent des “Digital Leadership & Ethics Program”
Co-Autor
Michael Urban
Head of Knowledge and Learning & Systemischer Berater
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